Eintracht Frankfurt I. Die achtziger Jahre

Magische Spiele der 80iger Jahre


1: Tscha-Bum! 
18.10.1980, 1. BL. Saison 80/81, 10. Spieltag: SGE-1.FC Kaiserslautern 3:2  

Ein Fußballverein sucht man sich nicht selber aus, sondern er kommt bekanntlich zu einem – und lässt einen dann sein ganzes Leben nicht mehr los. Manchmal muss man länger darauf warten. Ich spielte schon mit fünf Jahren selber Fußball, wechselte aber als Kind des Öfteren meinen Lieblingsverein. Meine Kumpels waren da schon gefestigter – die meisten waren Anhänger von Borussia Mönchengladbach, denn in den siebziger Jahren feierten die Fohlen einige Meisterschaften und waren einfach die Mannschaft der Zeit. Ich entwickelte irgendwie keinen leidenschaftlichen Bezug zu Gladbach oder zu anderen Vereinen. Mir wurde auch nichts in die Wiege gelegt. Mein Vater war Fußballbegeistert, hatte aber irgendwie keinen richtigen Lieblingsverein. Mit Neun Jahren machte ich mir dann langsam Gedanken, warum meine Freunde ihren Verein hatten und ich immer noch unentschlossen war. Doch irgendwie, 1980, fand ich dann doch noch meine große Fußballliebe. Ich hatte den UEFA-Pokalsieg-Sieg der Eintracht mitbekommen und entdeckte in der Sportschau einen Spieler, der mich total begeisterte: Bum Kun Cha. Alleine der Name fand ich als Kind schon spannend. Und was er auf dem Feld zeigte, war grandios: Athletisch aber gleichzeitig mit einer Leichtigkeit machte er die schönsten Tore. Er war fortan mein Lieblingsspieler. Gleichzeitig gefielen mir die schwarz-rot-gestreiften Trikots der Eintracht. Es waren irgendwie meine Farben, meine Spieler und im Laufe des Jahres wurde die Eintracht mein Verein – und daran hat sich auch nichts mehr geändert. In meiner Klasse gab es noch einen Eintrachtfan. Aber ansonsten war ich in meiner Schule und in meinem kleinen Ort, in der Nähe von Koblenz, mit meinem Lieblingsverein ein Exot.

Weihnachten 1980 lag ein Eintracht-Trikot unter dem Weihnachtsbaum. Es war glaube ich das schönste Geschenk was ich als Kind je bekam. Fortan kickte ich voller Stolz mit dem Trikot auf unserem Rasen-Bolzplatz.  Mein Zimmer war bald mit Eintracht-Postern ausgestattet und ich sammelte wie wild die Panini-Bilder der Adler. Von einzelnen Spielen aus dieser Zeit habe ich keine Erinnerungen. Aber wenn ich mir alte Spieldaten aus dieser Zeit anschaue, wie das 3:2 der Eintracht gegen Kaiserslautern vor damals 37.000 Zuschauern im Waldstadion, dann kenne ich immer noch jeden einzelnen Spieler aus dem FF. Bei der Eintracht, unter Trainer Buchmann, spielten Funk, Sziedat, Pezzey, Körbel, Neuberger, Lorant, Borchers, Hölzenbein, Lottermann, Nachtweih und Cha, der bei diesem Spiel auch ein Tor beisteuerte. Bei Lautern, unter Trainer Karl-Heinz Feldkamp, spielten u.a. Hellström, Friedhelm Funkel, Briegel und Bongartz. Es gab keinen Spieler in dieser Zeit, den ich nicht kannte. Das ist heute ganz anders. Teilweise bekomme ich schon nicht mehr mit, welcher Eintracht-Spieler gerade gekommen oder gegangen ist. Die Bundesliga ist mehr als schnelllebig und Identifikationsfiguren und Fußballidole wie in den 80iger Jahren sind selten geworden. Bum Kun Cha war ein solches Idol. Er war der erste Koreaner in der Bundesliga und begann, laut einiger Quellen, wohl erst mit 15 Jahren mit dem Fußballspiel. Er war ein Jahrhunderttalent wie Yeboah Grabowski und Hölzenbein. Gleichzeitig war er total bescheiden, ohne jegliche Starallüren, ausgesprochen Fair auf dem Platz und ein echter Teamplayer. Bis heute ist Bum Kun Cha, den man damals wegen seiner wuchtigen Tore immer nur „Tscha Bum“ nannte, als Fußballspieler und als Mensch ein absolutes Vorbild.


2: Tschüss Holz! 02.05.1981, DFB-Pokalendspiel: SGE-1. FC Kaiserslautern 3:1

71.000 Zuschauer im weiten Rund des Neckarstadions verfolgten das in Stuttgart ausgetragene Pokalendspiel. Etwas 20.000 Eintrachtfans konnten bereits in der 38. Minute durch Willi Neuberger und in der 40. Minute durch Ronny Borchers die Vorentscheidung bejubeln. Die SGE war in diesem Spiel überlegen und ließ gegen Lautern nichts anbrennen. Bum-Kun Cha in der 64. zum 3:0 und Reiner Geye zum 3:1 auf der Gegenseite in der 90. Minuten sorgten für die weiteren Tore. Ich weiß gar nicht mehr wo ich das Spiel verfolgte. Ich vermute mal, dass es im Fernsehen übertragen wurde. Auf jeden Fall war es nach dem UEFA-Cupsieg 1980 der zweite Titel in meiner damals noch jungen Eintracht-Anhängerschaft. Auch in der Bundesliga lief es in der Spielzeit 1980/81 gut: Mit einem 5. Platz hätte man sich auch für den UEFA-Cup qualifiziert. Allerdings gab es auch ein negatives Ereignis in der Saison: Der Leverkusener Jürgen Gelsdorf foulte meinen Lieblingsspieler Bum-kun Cha so schwer, dass noch lange in den Medien über diese üble Aktion diskutiert wurde. Doch der tiefgläubige Christ Cha vergab Gelsdorf und später waren die Spieler sogar befreundet.

Mit der Ausnahme von Michael Sziedat (für Horst Ehrmanntraut) stand bei dem DFB-Pokalsieg 1981 übrigens genau dieselbe Mannschaft auf dem Platz wie 1980 beim Erringen des UEFA-Pokals. Ein toller Tag – doch an diesem 2. Mai hieß es auch Abschied nehmen: Kapitän Hölzenbein stand beim DFB-Pokalsieg 1981 ein letztes Mal auf dem Platz. Würdiger als mit einem Pokal in der Hand, kann man sich kaum verabschieden.

 

3: Doch nicht gesehen. 04.12.82, 1. BL. Saison 82/83, 16. Spieltag: Bremen-SGE 3:0

Es gibt Spiele und Spielszenen, die verblassen mit der Zeit, oder man hat völlig andere Erinnerungen. Eine solche Szene war das Eigentor von Eintracht-Keeper Jürgen Pahl, der sich beim Auswärtsspiel in Bremen in der 3. Minuten, bei einem verunglückten Abwurf, den Ball selbst ins Tor warf. Ich hätte schwören können, ich hätte damals das kuriose Eigentor in der Sportschau gesehen. Doch es gibt von dieser Szene keine Bewegtbilder wie ich nach meiner Recherche feststellen musste. In der Sportschau wurden an diesem Samstag drei andere Spiele gezeigt und im Aktuellen Sportstudio war die Kamera gerade woanders, so dass der verunglückte Abwurf nicht gezeigt wurde, sondern erst der Ball ins Bild kam, als er schon die Torlinie überschritt. Torwart Pahl sah in der ersten Halbzeit noch eine Gelbe Karte und wurde vom scheinbar wütenden Trainer Branko Zebec dann auch noch zur Halbzeit gegen Joachim Jüriens ausgewechselt. Das Eigentor wurde für Pahl zum Karriereknick in Frankfurt. Er tat mir leid. Im Weserstadion gab es einige Wochen zuvor schon einmal ein kurioses Eigentor eines Torhüters. Im August 1982, zum Auftakt der Saison, kassierte Jean-Marie Pfaff in seinem ersten Spiel für Bayern München das legendäre Einwurftor des Bremers Uwe Reinders. Weil er den Ball noch berührte, zählte der Treffer. So oder so, dieses Eigentor habe ich auf jeden Fall damals im Fernsehen gesehen. Noch einmal zurück zu Jürgen Pahl. Neben dem Fußball hat er ein spannendes und bewegtes Leben. Er flüchtete mit Norbert Nachtweih 1976 aus der damaligen DDR. Nach seiner Bundesligakarriere wanderte Pahl irgendwann nach Paraguay aus.


4: …immer am Ball. 14.04.84, 1. BL. Saison 83/84, 28. Spieltag: SGE-Köln 0:2

Es gibt Fußballspiele, die vergisst man sein ganzes Leben nicht. Dazu gehört zum Beispiel der erste Stadionbesuch bei seiner Lieblingsmannschaft. Mit 13 Jahren, am 14. April 1984 war es bei mir soweit: Mein Vater überraschte mich mit der Erfüllung meines Herzenswunsches – ein Spiel der Eintracht im Waldstadion zu sehen. Wir fuhren in das in der Nähe meiner Heimat gelegene Koblenz und reisten mit dem Zug weiter nach Frankfurt am Main. Was war ich aufgeregt. In Frankfurt angekommen gingen wir zu Fuß die Kaiserstraße hinunter und stärkten uns im Kaufhof-Restaurant mit einer Portion Frankfurter Würstchen. Danach wechselten wir in den Nahverkehr und kauften dann am Stadionschalter die Tickets. Ich hatte Block 32, Reihe 22, Platz Nr. 15. Sitzplatz Gegentribüne, Oberrang gedeckt. 20 DM kostete die Karte, die ich natürlich bis heute wie mein Augapfel in meiner Eintracht-Sammlung hüte. Oben rechts steht auf der Karte „…Immer am Ball HERTIE“. Das weckt bei mir Erinnerungen an Warenhäuser aus der Innenstadt, die es heute nicht mehr gibt. Als wir zu unserem Platz im Block gingen, blickte ich zum ersten Mal in meinem Leben ins weite Rund des Waldstadions. Es waren noch nicht viele Zuschauer da und ich hatte mir das Stadion irgendwie noch größer vorgestellt. Später als die Tribünen mit 31.000 Zuschauern recht gut gefüllt waren, sah die Stadionkulisse dann doch ganz schön mächtig und beeindruckend aus – besonders der dicht mit Eintracht-Fans gefüllte G-Block faszinierte mich. Wir hatten auf jeden Fall strahlenden Sonnenschein und ein spannendes Spiel erwischt. Es war eines der besten Spiele der Eintracht, die ich je gesehen hatte. Zumindest in der ersten Halbzeit. Es gab Torchancen über Torchancen, die allesamt Tony Schumacher, der frühere Nationalkeeper im Tor der Kölner vereitelte. Eine Glanzparade folgte auf die nächste. Wie es so ist beim Fußball, wenn man die gebotenen Chancen nicht nutzt, dann verliert man am Ende. Und genauso kam es: Kurz vor Schluss erzielten die Kölner zwei Treffer und siegten mit 0:2 bei der Eintracht. Es war ein emotionaler Tag, der bis auf die Niederlage alles bot, was ein Stadionbesuch bieten kann: Ich war enttäuscht, aber irgendwie auch stolz, wie gut sich die abstiegsgefährdeten Frankfurter an diesem Tag gegen die im oberen Tabellenfeld stehenden Kölner präsentierten. Die Mannschaft unter Trainer Dietrich Weise hätte wahrscheinlich noch drei Stunden weiter spielen können und sie hätte kein Tor erzielt: Tony Schumacher war einfach heute in Weltklasseform. Wie dem auch sei: Hätte man am diesen 28. Spieltag drei Punkte geholt, dann wäre man am Ende der Saison vielleicht nicht auf dem 16. Tabellenplatz gelandet und die weitere Aufregung wäre erspart geblieben. Die Relegation gegen Duisburg (0:5 Auswärtssieg und 1:1 im Rückspiel) entschied man zum Glück für sich und ein Abstieg aus der Bundesliga konnte verhindert werden. Ich glaube bei diesen entscheidenden Spielen wurde ein weiterer Meilenstein für die Fanfreundschaft zum MSV Duisburg gelegt.

 

5: Kurze Freude. 28.05.88, DFB-Pokalendspiel: SGE-VFL Bochum 1:0

Lajos Detari spielte nur eine Spielzeit bei der Eintracht und wurde trotzdem fast zur Legende. Er war einer der technisch brillantesten Spieler, den ich je gesehen habe. In seinem letzten Spiel für die Eintracht spielte er überragend und schoss auch das entscheidende 1:0 im DFB-Pokalendspiel gegen Bochum. Es war die 81. Minute in der er einen Freistoß von der Strafraumgrenze ins Tordreieick zirkelte. Nach dem Spiel feierten 20.000 Eintracht-Fans im Berliner Olympiastadion den Pokalsieg und den damaligen Wunderspieler Detari. Auch ich war nach dem Spiel, das ich im Fernsehen schaute, absoluter Lajos Detari Fan. Doch die Freude hielt nicht lange: Nach der Saison 87/88 ging der ungarische Zauberfußballerer dann für eine Rekordablösesumme nach Olympiakos Piräus. Am Montag nach dem Pokalsieg stand in der Frankfurter Abendpost Nachtausgabe: „Supercup, Europa-Pokal: Frankfurt freut sich auf große Eintracht-Spiele“. Doch nur ein Jahr später sollte es fast zum Abstieg kommen. Die Lücke die der begnadete Spielmacher Detari nach seinem Abgang bei der Eintracht hinterließ konnte so schnell nicht geschlossen werden. Die riesige Ablösemillionen, die die SGE für Detari erhielt, versickerte angeblich ins nirgendwo. Auf jeden Fall blieb die Eintracht ein finanziell angeschlagener Verein, der einem als Fan immer wieder große Sorgen bereitete. Das große Geld, das der Verkauf eines guten Spielers bringt, ersetzt meist nicht den Verlust. Oftmals werden dann gleich mehrere neue Spieler verpflichtet, die aber allesamt den Weggang des Top-Spielers nicht kompensieren. Deshalb finde ich es immer besser auf das viele Geld zu verzichten und mit allen Mitteln einen bewährten Spieler in den eigenen Reihen zu halten.

 

6: Auf Charly ist Verlass. 17.06.89, 1. BL. Saison 88/89, 34. Spieltag: Hannover 96-SGE 1:1

Wenn die Lieblingsmannschaft verliert, dann ist fast so als hätte man selber verloren. Auch mich bestach immer eine unendliche Wut, wenn die Eintracht schlecht spielte oder wichtige Spiele unnötig oder ohne Kampfgeist verlor. Die Bundesligaspielzeit 1988/89 war als Eintracht-Fan besonders demütigend. Am 17. Juni 1989, dem letzten Spieltag einer verkorksten, kam es zum finalen Showdown im Abstiegskampf. Die Eintracht spielte bei Hannover 96 und brauchte möglichst drei Punkte. Ich verfolgte das Spiel am Radio und irgendwann so nach einer Stunde, die 96er lagen 1:0 vorne, wurde mir bewusst, dass die Eintracht wohl absteigen würde, wenn dieses Spiel im Niedersachsenstadion verloren wird. Ich wurde wütend und schimpfte auf die Mannschaft, die offensichtlich weder Lust noch den Willen hatte das Ruder herumzureißen. Wenn es bei so einem Spiel keinen Leader gibt, der das Heft in die Hand nimmt, dann kann man ziemlich sicher sein, dass eine Mannschaft mit dem Rücken an die Wand, sang und klanglos absteigt. Doch ich hatte die Rechnung ohne Charly Körbel gemacht. Unser treuester Spieler war zum Glück in den Reihen unserer Mannschaft. Und tatsächlich: In der 66. Minute – auf Vorarbeit von Jörn Andersen – erzielte Charly das 1:1 beim Tabellenletzten Hannover und löste damit dass Ticket für Platz 16 und die Relegationsspiele. Meine Wut schwenkte in Erleichterung und Dankbarkeit um, dass unser Mannschaftskapitän noch den Ausgleich schaffte. Der Tabellensiebzehnte Stuttgarter Kickers hatte zwar auch 26:42 Punkte, aber das schlechtere Torverhältnis. Die Eintracht rettete sich also ganz knapp vor dem ersten Abstieg aus der Bundesliga. Vor den Relegationsspielen hatte ich dann komischerweise keinerlei Angst. Ich war mir sicher, dass wir diese für uns entschieden. Und tatsächlich: Zwar gab es im Rückspiel in Saarbrücken eine 2:1 Niederlage, aber das Hinspiel konnten wir mit 2:0 für uns entscheiden. Aus dem Hin- und Rückspiel ergab es also ein 3:2 die Eintracht und der Klassenerhalt war somit gesichert. Auf Seiten der Saarbrücker spielte übrigens Tony Yeboah, der schon bei den Saarländern sehr präsent agierte. Zurück zum Spiel in Hannover. 45 Tore erzielte Charly Körbel zwischen 1972 und 1992 – doch das Tor am letzten Spieltag 1989 war wohl das wichtigste seiner Karriere. Auf den treuen Charly war einfach immer Verlass.