Eintracht Frankfurt II. Die neunziger Jahre

Magische Spiele der 90ier Jahre

7: Lieber ins Gray. 16.05.92, 1. BL. Saison 91/92, 34. Spieltag: Rostock-Eintracht 2:1  

Das Rostock-Trauma – das letzte Spiel bei Hansa Rostock wurde verloren und damit die sicher geglaubte Meisterschaft völlig sinnlos verspielt. Es wäre die erste Meisterschaft nach 1959 gewesen. Die Wundermannschaft um Bein, Stein, Bein, Yeboah und Möller verlor 1:2 beim  Absteiger, der bei einem Sieg noch die theoretische Chance auf den Klassenerhalt hatte. Am Ende wurde Stuttgart Deutscher Meister, den keiner auf der Rechnung hatte. Doch es hätte wohl auch anders kommen können: Schiedsrichter Alfons Berg hieß bekanntlich der Schiedsrichter, der eine Viertelstunde vor Schluss den glasklaren Elfmeter nach einem Foul an Weber nicht gab. Trainer Stepi sagte später zu diesem traumatischen Tag in Rostock den legendären Satz „Lebbe geht weider“. In der Tat das Leben ging weiter, doch für die meisten Eintracht-Fans hat sich dieses Ereignis bis zum heutigen Tage als ein schlimmer Albtraum ins Gedächtnis eingebrannt. Ich habe diesen Tag relativ gut weggesteckt und kenne auch noch andere Eintracht-Ereignisse, die für mich fast schlimmer waren – wie z. B. der erste Abstieg der Eintracht 1996 aus der Bundesliga. Vielleicht liegt meine relative Gelassenheit zum Rostock-Drama daran, dass ich in dieser Zeit ein anderes Hobby hatte, das die Eintracht in den Hintergrund drängte. Es war die Pionierzeit der Technomusik und statt ins Stadion ging in lieber in Clubs wie das legendäre Dorian Gray, das Omen oder die Music Hall und feierte diese besondere Zeit. Natürlich bewegte mich trotzdem dieser letzte, entscheidende Spieltag und meine vernachlässigte Fanliebe zur Eintracht flammte kurz vor der vermeintlichen Meisterschaft wieder auf. Ich entschloss mich nicht um eines der wenigen Tickets in Rostock zu kämpfen, sondern mir das Spiel und die Feier beim Public Viewing in Frankfurt am Main anzuschauen. Kurioserweise wurde das Spiel nicht auf dem Römerberg, sondern auf einer kleinen Leinwand auf dem benachbarten Paulsplatz übertragen. In der jetzigen Zeit, wäre eine solche Entscheidung der Stadt unvorstellbar, aber zu dieser Zeit feierten die Stadtträger sich noch als Bankenstadt und die Eintracht hatte nicht den hohen Stellenwert wie heute.

Ich sah mich in Gedanken schon nach dem Spiel auf dem Platz feiern und mich stolz nachhause Fahren wo Freunde und Familie schon auf den heimkehrenden Fan des neuen Deutschen Meisters freudestrahlend warteten. Doch es kam bekanntlich anders. Nach Spielschluss waren nur noch Tränen und eine große Leere in der Stadt. Ich sah zum ersten Mal, wie enttäuschte Eintracht-Fans ihre Schals verbrannten. Ich taumelte nach dem Spiel von dem Paulsplatz und irrte durch die triste 50-iger Jahre-Siedlung, die nach dem Krieg auf dem Gelände der zerstörten Altstadt gebaut wurde. Der Ärger war wirklich groß und meine Laune für die nächsten Tage und Wochen im Keller. Fußball kann grausam sein. Später kursierten Verschwörungstheorien bei einigen Fans, dass Schiri Berg die Eintracht absichtlich verpfiffen hätte. Ich glaube, dass die Mannschaft innerlich zerstritten war und der letzte Wille nicht da war, bei diesem letzten, entscheidenden Spiel die Ärmel hochzukrempeln und zu gewinnen. Vielleicht war man sich auch zu sicher, gegen den Abstiegskandidaten zu siegen. Fest steht: Bis heute reicht nur ein Wort: Rostock – um jeden Eintracht-Fan auf der Welt in eine tiefe Depression zu stürzen.

 

8: Die Gala. 30.09.1992, 1. Runde Uefa-Cup (Rückspiel): Eintracht-Widzew Lodz 9:0 

Das Hinspiel des Uefa-Cup-Spiels in Lodz ging noch 2:2 aus. Doch im Waldstadion drehte die Eintracht dann auf und bot mit Tony Yeboah und Jay-Jay Okocha einen unglaublichen Zauberfußball mit. Am Ende hieß es vor 11.200 begeisterten Zuschauern im Waldstadion 9:0! Schon zur Halbzeit dieser unvergleichlichen UEFA-Cup Gala hieß es 6:0 durch je drei Tore von Axel Kruse und Tony Yeboah. In der zweiten Halbzeit machte Tony noch sein 4. Tor. Das 8:0 und 9:0 besorgten dann noch Uwe Rahn und Uwe Bein. Dieses Mittwochsspiel in der 1. Runde des UEFA-Cups machte einen als Fan sprachlos: Hier wurde schon Fußball 2000 zelebriert. Die goldenen Eintracht-Jahre Anfang der 90iger Jahre mit Tony Yeboah, Jay-Jay Okocha, Uwe Bein, Maurizio Gaudino und Andy Möller nahmen ihren Lauf. Zu dieser Zeit hat man als Fan teilweise nicht realisiert, welchen Traumfußball die Eintracht in dieser Zeit spielte. Als Fan vergisst man schnell die schlechten Zeiten und gewöhnt sich schnell an gute Zeiten mit Siegen und Erfolgen. Diesen Gewöhnungseffekt sieht man z. B. bei Bayern München-Fans, die selbst beim Erringen der Meisterschale oftmals nur noch zurückhaltend jubeln. Als Eintracht Fan malt man sich schon seit Jahrzehnten aus, wie wohl in Frankfurt gefeiert werden würde, wenn die SGE noch einmal als Deutscher Meister, die Saison beenden würde. Es wäre wohl der absolute Ausnahmezustand. Ekstatisches Dauerfeiern ohne Ende. Damals war die Eintracht nah dran an diesem Traum. Okocha, Bein, Yeboah mit der Meisterschale – das wäre es gewesen.


9: Der mit dem Kahn tanzt. 31.08.93, 1. BL. Saison 93/94, 5. Spieltag: SGE-KSC 3:1

Die meisten, besonderen Momente mit der Eintracht, die sich in meinem Hirn eingebrannt haben, habe ich live im Stadion miterlebt. Doch es gibt Ausnahmen, bei denen einem Radio- und Fernsehkommentatoren magische Momente bescherten. Das Highlight ist dabei der TV-Bericht des damaligen RAN-Kommentators Jörg Dahlmann. Es war ein Dienstagsspiel, mitten in der Woche und die Saison war noch jung. Mit anderen Worten: Als ich den Fernseher anmachte, um mir den Spielbericht der Eintracht gegen den Karlsruher SC anzuschauen, hatte ich keine besonderen Erwartungen. Die Eintracht hatte einen guten Saisonstart erwischt und führte die Tabelle an. Auch diese Partie gegen den KSC lief bestens. Der Spielbericht war fast zu Ende, zu diesem Zeitpunkt führte die Eintracht 2:1, als dann in der 87. Minute die berühmte Torszene mit Jay-Jay Okocha kam, die einem bis heute ein breites Grinsen ins Gesicht treibt. Dahlmann bereitete die Sternstunde des Fußballkommentars mit folgenden Worten ein: „So, liebe Zuschauer, und jetzt stehen Sie in Ruhe auf, damit Sie keinen Herzschlag bekommen. Stellen Sie den Ton Ihres Fernsehers lauter, kommen Sie nahe an den Monitor heran – und genießen sie.“ Und dann ging es los. Der in der 65. Minute für Jan Furtok eingewechselte Jay-Jay Okocha bekam den Ball zugespielt und tanzte im Strafraum mehrere Abwehrspieler aus, eher er dem späteren Welttorhüter Oliver Kahn nach einem weiteren Haken den Ball ins Tor spitzelte. Es waren 11 Sekunden für die Ewigkeit. Dahlmann kommentierte die spektakuläre Szene in epischer Breite und man war genauso begeistert über den mitreißenden Kommentar wie über das außergewöhnliche Tor. „Liebe Zuschauer, die Zeit für meinen Bericht ist zwar abgelaufen, aber egal. Sollen Sie mich rausschmeißen. Ich zeige ihnen die Szene bis zum Umfallen.“, so Dahlmann im Laufe seines legendären Spielberichts. Nach diesem Traumtor kannte jeder den nigerianischen Zauberfußballerer Jay-Jay Okocha, der bei seinem Aufsehen erregenden Dribbling gerade einmal zwanzig Jahre alt war. Zu dieser Zeit spielten herausragende Fußballtechniker wie Uwe Bein, Tony Yeboah und Maurizio Gaudino bei der Eintracht, doch Jay-Jay Okocha übertrumpfte mit dieser famosen Torraumszene alle seine Mitspieler. Später wurde Okocha als Spieler des „Tor des Jahres 1993“ in der ARD gekürt. Das dieser Treffer gegen einen Top-Torhüter wie Oliver Kahn gelang, setze dem Ganzen die Krone auf. Kahn hechtete von links nach rechts und wieder zurück und musste sich am Ende doch geschlagen geben. Das Waldstadion bebte, nachdem der Ball im Netz war. Okocha wurde zum Inbegriff eines herausragenden, spielfreudigen Dribbelkünstlers, der einem beim Zuschauen Spaß und Freude bereitete. Für die Fußballanhänger bleibt Jay-Jay für immer unvergessen. Es gibt noch heute – über zwanzig Jahre später – Eintrachtfans, die voller Stolz ein Trikot mit seinem Namen tragen – und das völlig zu Recht.

 

10: Mer fiere noch kein Karneval. 07.05.94, 1. BL. Saison 93/94, 34. Spieltag: 1. FC Köln-SGE 2:3

Es war noch die Zeit der zugigen Fußballstadien, bei der zwischen den Zuschauern und dem Spielfeld noch eine Leichtathletik-Laufbahn war und die Sicht aufs Spiel entsprechend mehr als beschissen war. Es gab noch keine stimmgewaltigen Ultras mit Doppelhaltern und Bengalos und noch keine heimelig-beseelte, feiernde („mer fiere“) Viva Colonia-Atmosphäre mit Karnevalsmusik bei den Geißböcken im Stadion. Alles das sollte erst einige Jahre später in die Stadien einziehen. Die Stimmung war wie meistens zu dieser Zeit im Stadion noch eher mittelmäßig. Soviel zum Thema „früher war alles besser“. An diesem letzten Spieltag der Saison 1993/94 verirrten sich 32.000 Zuschauer ins alte Müngersdorfer Stadion. Ich hatte mir einen Sitzplatz gegönnt und blickte ins weite Rund. Man musste schon genau hinschauen und hinhören, um den kleinen Auswärtsblock der Eintracht-Fans zu sehen und zu hören. Nur wenige Jahre später– mit dem Aufkommen der Ultras 1997 – sah das mit immer mehr Auswärtsfahrern und Dauersupport ganz anders aus.  

Das Spiel war recht spannend. In der zweiten Halbzeit holten die Kölner zwei Tore zum zwischenzeitlichen 2:2 auf, ehe Tony Yeboah in der 70. Minute, per Elfmeter, zum entscheidenden 2:3 für die Eintracht verwandelte. Die Eintracht qualifizierte sich damit für den Europapokal, den damaligen UEFA-Pokalwettbewerb, und Yeboah wurde nach 1993 auch am Ende der Spielzeit 1994 mit 18 Treffern einer der Torschützenkönige der Bundesliga. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie fasziniert ich über die unglaubliche Athletik und die bahnbrechende Durchsetzungskraft von Yeboah war. Einen Stürmer mit solchen, hohen sportlichen Qualitäten hatte ich vorher und danach nie wieder gesehen. Ich war ab sofort ein Zeuge Yeboahs. So war es auch kein Zufall, dass Yeboah auch dieses Spiel entschied. An diesem Tag hätte ich nicht gedacht, dass die SGE erst 23 Jahre später, am 20.09.17 wieder einen Auswärtssieg in Köln hinlegte. Bei dem siegreichen Spiel 1994 verfügte die Eintracht unter Trainer Charly Körbel mit Uwe „Zico“ Bindewald, Manni Binz, Jay Jay Okocha, Maurizio Gaudino, Uwe Bein, Ralf Weber und Tony Yeboah über einen illustren Kader. Im Tor stand Thomas Ernst und die spätere Legende Oka Nikolov saß bereits mit damals 19 Jahren auf der Reservebank. Frankfurt schloss die Saison als 5. Und Köln als 11. ab und die Bayern wurden mit einem Punkt Vorsprung, vor Kaiserslautern (!) Deutscher Meister. Sogar die Eintracht hätte in dieser Saison Meister werden können, schließlich führte man in der Hinrunde zwischenzeitlich mit 5 Punkten Vorsprung vor den Bayern. Aber in der Rückrunde holte man nur noch 14 Punkte und musste sich am Ende mit dem 5. Platz begnügen. Es war eine denkwürdige Saison bei der die Saison nach Streitereien für Uli Stein vorzeitig endete und Trainer Toppmöller während des Durchhängers der Eintracht in der Saison durch Charly Körbel ersetzt wurde.

 

11: Vereinstreue. 01.05.96, 1. BL. Saison 95/96, 31. Spieltag: Köln-SGE 3:0 

Tausende Eintracht-Fans hatten sich am 1. Mai 1996 auf die Reise nach Köln gemacht um den Abstieg zu verhindern – vergebens. Es war wohl eine der bittersten Niederlagen der Eintracht. Aber es war auch der Beginn des unvergleichlichen Frankfurter Auswärtssupports. Wie bei einer Sternfahrt machten sich die Fans auf nach Köln, um die Eintracht im Abstiegskampf zu unterstützen. Egal wie schlecht es um die Eintracht stand: Hier wurde eine unzerstörbare Vereinstreue an den Tag gelegt, die auch die nächsten Jahrzehnte das Verhältnis der Fans zum Verein bestimmen sollten. Auch ich fuhr zu diesem Schicksalsspiel nach Köln und ergatterte mit viel Glück noch vor dem Stadion eine Eintrittskarte. Am Ende der Saison landete die Eintracht auf dem 17. Platz und stieg zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte aus der 1. Bundesliga ab. Was dann folgte war ein Scherbenhaufen. Die Eintracht stand in der Öffentlichkeit als Skandalverein da: Ohne Präsident, mit Riesen-Schulden und der Angst vor der Pleite. Die treuen Fans sammelten in der Not Geld für die Eintracht. Es sollten nun, nach dem unrühmlichen Abstieg, zwei harte Jahre für die Eintracht in der 2. Liga werden. Doch die Fans waren in dieser Zeit treuer denn je. Beim ersten Spiel in der Saison 96/97 gegen Zwickau war der Ansturm so groß, dass einige Fans nicht in Stadion kamen, weil die Eintracht zu wenige Tickets drucken ließ. Und 1997 wurden die Ultras Frankfurt gegründet. Mit Dauersupport, riesigen Fahnen und Doppelhaltern zog südländische Fußballstimmung ins Waldstadion ein.

 

12: Stadion der Freundschaft. 22.08.97, 2. BL. Saison 97/98, 4. Spieltag: Cottbus-SGE 0:1     

Im August 1997 war ich noch relativ frisch in Berlin. Das Studium zog mich an die Spree und ich sollte insgesamt viereinhalb Jahre in der Hauptstadt verbringen. Die Ferne zum Waldstadion ließ mich die Eintracht gewaltig vermissen. Es gab keine Zeit, indem ich intensiver die Eintracht verfolgte wie bei dieser Fernbeziehung. Gab es irgendein Spiel der Eintracht in der Nähe von Berlin, dann war ich am Start. Selbst Trainingslager auf Usedom habe ich in meiner Berliner Zeit vor Ort verfolgt. Der vierte Spieltag in der 2. Liga bescherte das Duell Cottbus gegen Frankfurt. Ich fuhr mit meinem VW Golf zu diesem Auswärtsspiel der Eintracht. Ich dachte, wer fährt schon am Anfang der Saison von Hessen aus zu einem Freitagabendspiel nach Cottbus? In Cottbus angekommen sah ich vor mir schon mal ein Auto mit Eintrachtaufklebern. Ich freute mich fernab von Frankfurt einen Gleichgesinnten zu sehen. Es war Thomas aus dem brandenburgischen Fehrbellin, ein Eintracht-Fan durch und durch, mit dem ich bis heute befreundet bin. Wir parkten die Autos und gingen dann gemeinsam zum Hauptbahnhof. Wenige Minuten später kam ein riesiger Tross Eintracht-Fans an. Ich glaubte meinen Augen nicht: Was für ein Wahnsinn durch halb Deutschland zu fahren, um Freitagabend um 19 Uhr ein Zweitligaspiel in Cottbus zu verfolgen. Es war wirklich ein riesiger Pulk von SGE-Fans der dann an einer Plattenbausiedlung vorbei von der Polizei zum Stadion der Freundschaft geführt wurde. Auf dem Weg wurden Eintracht-Lieder in Richtung der Wohnplatten gegrölt. Einige Bewohner standen auf ihren Balkonen und schauten dem Spektakel zu. Ich glaube auch in Cottbus hatte man Freitagabend noch nicht so einen Auswärtssupport gesehen und gehört. Im Stadion ging es so weiter: Der Auswärtsblock der Eintracht war brechend voll und die Stimmung unbeschreiblich. Ich glaube die Ultras hatten sich gerade gebildet und eine solche Euphorie, Begeisterung und Freude hatte ich bisher noch nicht in einem Fußballstadion erlebt. Das ganze Spiel wurde durchgesungen. Die Eintracht hatte zu dieser Zeit eine kernige Mannschaft, die die nötige Robustheit hatte, um in der zweiten Liga zu bestehen: Thomas Zambach, Urs Güntensperger, Ralf Weber, Uwe Bindewald, Alex Schur, Thomas Sobotzik und Petar Hubchev waren auf Seiten der Eintracht. Oka Nikolov stand, bei der von Trainer Horst Ehrmantraut geführten Mannschaft, im Tor. In dieser Zweitligasaison war die SGE der einsame Ex-Bundesligaexot unter Mannschaften wie Meppen, Gütersloh, Zwickau, Wattenscheid und Unterhaching. Die Cottbusser spielten an diesem Abend vor 13.719 Zuschauern, unter Trainer Eduard Geyer pomadig und die atemberaubende Stimmung aus dem Auswärtsblock beeindruckte offensichtlich die Spieler und Cottbus-Fans. Alexander Kutschera sorgte schließlich in der 21. Minute mit einem Kopfball für das 0:1. Dabei blieb es bis zu Schluss. Die Eintracht war Tabellenführer und am Ende der Saison gelang dann auch der Wiederaufstieg in die 1. Liga. Für mich war es der perfekte Abend und frohgelaunt fuhr ich nach dem Spiel zurück nach Berlin. Was die Fans an diesem Abend zeigten war außergewöhnlich. Viele Fragen sich warum die Frankfurter Fans Jahr für Jahr von anderen Vereinsfans als beste Fans der Bundesliga gewählt werden. Die Grundlagen wurden schon vor über zwanzig Jahren gelegt: Egal, welcher Tag und welche Liga, die SGE-Fans sind immer da und geben immer alles. Das beeindruckt die Fanszenen in ganz Deutschland und sorgt für den Respekt und die Anerkennung, die die Eintracht-Fans bis heute genießen.

 

13: Back again. 25.05.98, 2. BL. Saison 97/98, 32. Spieltag: SGE-Mainz 2:2 

Mit einem Unentschieden gegen Mainz stieg die Eintracht im Montagabendspiel vor 33.000 Zuschauern im Waldstadion frühzeitig wieder in die Eliteklasse auf. Es herrschte wieder Aufstiegseuphorie in Frankfurt nach zwei Jahren 2. Liga. Nach Jahren der Skandale, bei der sich auch die Wirtschaft wegen des schlechten Images von der Eintracht abwendete, konnte der Präsident Rolf Heller und sein Schatzmeister Gaetano Patella trotz eines Minietats den Verein wieder gesunden. Mit Kult-Trainer Horst Ehrmanntraut hatte die Mannschaft zudem wieder zu alten Tugenden zurückgefunden. Kein Zauberfußball mehr, aber Kampfgeist, Fleiß und Einsatz führten die Mannschaft wieder in die 1. Liga. Nach dem Aufstiegsspiel gegen Mainz stürmten die Fans unter den Gesängen von „Nie mehr 2. Liga“ den Platz. Die Eintracht war wieder „back again“, so wie es auch auf ihren Aufstiegs-T-Shirts an diesem feierlichen Abend stand. Ich allerdings musste diesen Abend alleine feiern. Ich wohnte ja in dieser Zeit in Berlin und kannte dort noch keine Eintracht-Fans. Also fuhr ich hupend mit meinem VW Golf den Kudamm rauf und runter und grölte Eiiintraacht. Keiner Antwortete. Doch irgendwo in dieser riesigen Stadt muss es doch auch Eintracht-Fans geben? An diesem Abend beschloss ich: Ich gründe einen Eintracht-Fanclub in Berlin und verbinde damit alle treuen Adler im Berliner Exil. Es sollte noch einige Zeit dauern, bis mein Vorhaben gelang. Einen Namen hatte ich schon für den Fanclub gefunden: EFC Adler Berlin. Einige Monate später schaltete ich eine Suchanzeige im Kicker. Und tatsächlich: Einige Fans aus Berlin und Umgebung antworteten auf meine Annonce. In dieser Zeit wurde auch das Internet immer bedeutender, so dass ich mich nach und nach mit den Eintracht-Fans in der Hauptstadt verbinden konnte. Nach diesem Tag feierte ich nie wieder alleine die Eintracht in Berlin.


14: „Der Chineees“ 29.05.99, 1. BL. Saison 98/99, 34. Spieltag: SGE–1. FC Kaiserslautern 5:1

Es sah nicht gut aus für die Eintracht. Frankfurt hatte zum Ende der Saison 98/99 nur dank einer Siegesserie – die letzten drei Partien wurden gewonnen – überhaupt noch die Chance auf den Klassenerhalt in der ersten Liga. Mit 34 Punkten hatten die Frankfurter vor dem letzten Spiel gegen Kaiserslautern die schlechteste Ausgangsposition gegenüber Hansa Rostock (35 Punkte), Freiburg (36)  VfB Stuttgart (36) und Nürnberg (37). Trotzdem bestand mein Eintracht-Kumpel aus Brandenburg, dass wir an diesem Tag von Berlin aus zum Saisonabschluss ins Waldstadion fahren. Ich studierte in dieser Zeit gerade in Berlin und verfolgte die Eintracht aus der Ferne. Die Möglichkeit auf den Klassenerhalt schien mir ziemlich aussichtslos zu sein, aber schließlich machten wir uns dann zu dritt auf den Weg nach Frankfurt. Es war ein heißer Tag im ausverkauften Waldstadion. Wir standen im Block J. Die erste Halbzeit wurden wir dauerbeschallt. Hinter uns stand ein Typ und meckerte die ganze Zeit über die Eintracht. Dieses Dauermeckern hörte man früher im Waldstadion öfters. Insbesondere jede Ballsituation von unserem chinesischen Spieler Chen Yang kommentierte der „Fan“ in unserem Nacken: „Was macht denn schon wieder der Chineees?“. In der Tat die erste Halbzeit lief schlecht und es stand 0:0. Alles lief in Richtung Abstieg der Eintracht. Nach der Halbzeit ging das Gemecker in Richtung Cheng Yang weiter. Mir platzte der Kragen und ich drehte mich um und sagte er solle „Endlich seinen Sabbel halten“. Einen Augenblick später brach dann tatsächlich Chen Yang den Bann  und erzielte das 1 zu 0 für die Eintracht. Von diesem Zeitpunkt an war der Meckeronkel vollen Lobes über unseren Chinesen. Das Ganze erinnerte mich an den 1991 veröffentlichten „Anthony Sabini“ – Tony Yeboah Sketch gegen Rassismus von Badesalz. 

In der 68. Min. erhielt Kaiserslautern überraschender Weise einen Elfmeter. Michael Schjönberg glich zum 1:1 aus und führte die Eintracht wieder näher an den Abgrund. Doch die Eintracht begann jetzt mit einer unglaublichen Aufholjagd. In der 70. Min. traf Thomas Sobotzik zum 2:1. In der 80. Minute schoss 3:1 Marco Gebhardt das 3 zu 1. Ein unfassbares Tor: Er legt den Ball auf dem linken Flügel mit der Hacke über Michael Ballack rast in den Strafraum und wuchtet das Ding volley unter die Latte. Ein Tor schöner wie das Andere. Bernd Schneider traf in der 82. Minute zum 4:1. Doch um 17:13 schoss Nürnberg das 1:2 – den Anschlusstreffer gegen Freiburg. Frankfurt wäre jetzt abgestiegen. Frankfurt brauchte noch ein Tor. In der 89. Minute schließlich dann der legendäre Übersteiger von Jan Age Fjörtoft zum 5:1. Das reichte um mit Nürnberg punkt- und torgleich zu ziehen und durch die mehr geschossenen Treffer in der Klasse zu bleiben. Ansgar Brinkmann sagt später es war das „Spiel seines Lebens“ und Fjörtoft resümierte, Trainer Jörg Berger hätte auch die Titanic gerettet. Das Nichtabstiegs-Wunder von 1999 war ein legendäres „Alles oder nichts Spiel“. Eine unfassbare Energieleistung in der brütenden Sommerhitze.

Einige Missgönner meinten später die Lauterer hätten extra schlecht gespielt. Doch für den FCK, unter Trainer Otto Rehagel, ging es noch um den Einzug in die  Champions League. Und die Tore, die die Eintracht schoss, waren außergewöhnlich. Alleine der Übersteiger von Fjörtoft hätte auch daneben gehen können. Dieses Nichtabstiegs-Wunder sollte so sein. Es war auch für mich das spannendste Fußballspiel welches ich je gesehen hatte. Nach dem Spiel sahen wir noch Bernd Schneider, der hinter dem Stadion in sein Auto stieg. Schneider wechselte nach der Saison nach Leverkusen. Er kämpfte, wie alle Spieler an diesem Tag, jede Sekunde für den Klassenerhalt der Eintracht. Nach der Feier auf dem Rasen fuhren wir weiter nach Alt-Sachsenhausen, wo auf Tischen getanzt wurde. Wir lernten Dirk aus Kassel und Veeni – ein positiv verrückter Eintracht Fan aus Köln – kennen. Venni, der neben der Eintracht auch noch glühender Anhänger von Fortuna Köln ist, habe ich mit Tommy mal bei einem Auswärtsspiel bei der Hertha getroffen, als er zur Halbzeit das Stadion verließ, um seinen 18 Uhr-Flieger zurück nach Köln zu erreichen! Aber das ist eine andere, verrückte Geschichte…

Es gab an diesem feierlichen Abend für uns auf jeden Fall nur ein Thema: Immer und immer wieder erzählten wir von dem unglaublichen Fußballwunder, das wir an diesem Nachmittag gesehen hatten. Am nächsten Tag waren wir wieder in Berlin. Doch die lange Fahrt verging für uns wie im Fluge.

 

15: Der Denkzettel. 18.09.99, 1. BL. Saison 99/00, 5. Spieltag: SGE-Bayern 1:2 

Schadenfreude ist kein guter Begleiter des Fußballfans. Doch gerade bei Spielen gegen den FC Bayern wird man schon mal hämisch, wenn man die oftmals überheblich aufspielende Startruppe eins auswischen kann. Am 5. Spieltag der Saison 99/00 kam es im ausverkauften Waldstadion zu einem denkwürdigen Aufeinandertreffen der Eintracht gegen die Münchner Bayern. Die SGE ging rasant ins Spiel und erzielte durch Bachirou Salou nach Vorlage von Jan Aage Fjörtoft in der 20. Minute die Führung zum 1:0. Trotz der Führung der Eintracht war die Stimmung im Stadion aufgeheizt und teilweise mehr als aggressiv. In der 35. Minute, vor der Ausführung eines Eckballs, wird dann Stefan Effenberg von einem Gegenstand am Kopf getroffen und geht zu Boden. Doch ohne zu Lamentieren spielt Effenberg weiter. Nach dieser hirnrissigen Aktion aus dem Eintracht-Fanblock kommt in der zweiten Halbzeit die gerechte Strafe: Oliver Kahn hält einen von Fjörtoft unplatziert getretenen Strafstoß. Dramatik und Aufregung genug? Nein, das turbulente Spiel setzt noch mehr als einen drauf. Nur wenige Minuten nach der Glanztat muss Kahn nach einem Zusammenprall mit Kuffour verletzt raus. Für ihn kommt Ersatzkeeper Dreher ins Tor. Keine sieben Minuten später muss auch er raus, weil er sich ohne Fremdeinwirkung das Knie verdreht hat. Er verlässt unter dem hämischen Gejohle der Eintracht-Fans den Platz. 62 Minuten sind in diesem turbulenten Spiel absolviert. Nun muss Feldspieler Michael Tarnat zwischen die Pfosten. Schadenfroh freue ich mich, dass die Bayern geschwächt sind und die Eintracht auf der Siegerstraße ist. Jetzt kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Ein Feldspieler im Tor, das riecht nach weiteren Treffern für die Eintracht. Doch da habe ich mich wie die meisten anderen Fans im Stadion gründlich getäuscht. Unbeeindruckt spielen die Bayern unter Trainer Hitzfeld weiter und Giovane Elber erzielt in der 66. Minute den Ausgleich. In der 80. Spielminute gelingt Sammy Kuffour per Kopf sogar noch der Siegtreffer für die Bayern. Jetzt bin ich deprimiert und schäme mich sogar etwas für meine hämische Schadenfreude und für die Unfähigkeit der Eintracht-Spieler gegen die geschwächten Bayern den Sieg nach Hause zu fahren. Was für ein blöder Tag, der sich wie ein Denkzettel für schadenfrohe Fußballfans anfühlt. Aber ehrlich gesagt, wie hätte sich auch der Sieg der Eintracht angefühlt, wenn er nur zustande gekommen wäre, wenn der Gegner in einer Notlage geraten ist. Selbst gegen die ungeliebten Bayern hätte sich das Ganze irgendwie ungerecht angefühlt.